Das Gemeinschaftsprojekt der Kinderbuchreihe alterstypischer Erkrankungen „Gina und Ben auf Lösungssuche!“ mit dem Regionalbüro Alter, Pflege und Demenz Region Dortmund und dem Fachdienst für Senioren des Sozialamtes der Stadt Dortmund hat am Samstag, 17.02.2024, einen besonderen Platz in den Zeitungen der Funke-Medien-Gruppe in NRW bekommen!
Wenn Oma und Opa krank sind: so verstehen es die Kinder
Eltern fällt es oft schwer, die typischen Altersbeschwerden kindgerecht zu erklären. Wie Sachgeschichten mit Ben und Gina dabei helfen
Dortmund Warum zittert Opa Willi so? Wieso schläft Oma Hilde mitten am Tag auf der Bank? Was hat „Fußball-Oskar“ nur mit seinen Knien, und was macht die alte Frida so traurig? Solche Fragen stellen Kinder, die solche Wortungetüme nicht kennen: Parkinson, Demenz, Arthrose, Depression. In Dortmund versucht die Sozialpädagogin Franzisca Schubert, den Jüngsten die Krankheiten der Alten zu erklären. In neun bunten Heften macht sie aus Diagnosen Geschichten – aus denen auch Eltern etwas lernen können.
„Guck mal: Der spuckt! Die zittert voll! Der pennt dauernd!“ Das sagen Kinder so, und Erwachsene mahnen dann: „Das darfst du doch nicht sagen!“ Doch, darf man, findet nicht nur Bert Schulz vom Dortmunder Regionalbüro Alter, Pflege und Demenz. „Naivität tut ja nicht weh.“ Aber das Schweigen tut es, weiß Franzisca Schubert: So oft hat sie als Sozialdienstleiterin in Senioreneinrichtungen gesehen, wie Eltern ihren Nachwuchs daheim ließen und nicht mehr mitbrachten zu Oma und Opa. „Alterserkrankungen sind ein Tabuthema“, sagt Schubert, und das will sie ändern. „Opa ist krank, aber es ist immer noch Opa!“
Also hat die 46-Jährige Ben erfunden und Gina aus der Mehrgenerationen-Wohnanlage. Ben ist sechs und trifft immerzu jemanden von den Alten im Kiez, die neuerdings komisch sind. Gina ist nur zwei Jahre älter, aber etwas altklug und weiß Bescheid. Franzisca Schubert sagt, das Mädchen habe vieles von den Großen aufgeschnappt. Jedenfalls kann Gina dem kleinen Bruder erklären: dass Nachbarin Frida, 78, keine Kekse mehr backt und Ben die Tür vor der Nase zumacht, weil sie so allein ist und darüber depressiv geworden ist.
Dass Hilde eine „Kopfkrankheit“ hat und deshalb den kleinen Ben mit ihrem Mann Tom verwechselt, mit dem sie auf Hochzeitsreise will. Und dauernd einschlummert, weil der Tag-Nacht-Rhythmus bei dementen Menschen manchmal nicht mehr funktioniert. Dass „Schnucker-Hugo“ jetzt Broccoli-Salat essen muss statt Bonbons von der Bude, denn er ist zuckerkrank. Gina weiß, warum die hektische Franzi im Krankenhaus ist (Herzinfarkt) oder wieso Paul mit seiner Augenklappe plötzlich aussieht wie ein Pirat (Makuladegeneration). Andere Senioren in der Wohnanlage hatten einen Schlaganfall oder leiden unter Rheuma.
Alle diese Krankheiten lässt Franzisca Schubert die sommersprossige Gina dem kleinen Ben erläutern, und der staunt auf den liebevoll gezeichneten Bildern mit offenem Mund. In rosa Kästchen erklären Ärzte kindgerecht die passenden Fremdwörter: Was ist ein Tremor, was bedeutet „Vitalwert“, und wie arbeitet eigentlich das Gehirn? Was ist eine Diagnose, wofür ist Insulin gut, und wie sieht ein Muskel aus? Und schließlich: Was ist eigentlich für Frida, Oskar, Hugo die richtige Therapie?
Natürlich entscheiden das die Ärzte, aber die Autorin sagt den Kindern immer auch, was sie selbst tun können. In den Geschichten überlegen die Kids der Nachbarschaft gemeinsam, wie sie helfen können; sie schmieden einen Plan. Sie könnten Fahrrad fahren mit Oskar, der nicht mehr Fußball spielen kann. Hildes Stock suchen, den sie dauernd verlegt, und mit ihr spazieren gehen, damit ihr Mann sich auch mal ausruhen kann. Opa Willis Spucke wegwischen, damit er sich nicht schämt, und so mit ihm reden, dass es reicht, wenn er Ja oder Nein sagen kann. Oma Frida besuchen und mit ihr spielen und basteln, weil sie nirgends mehr hingehen mag.
Es sind kurze Erzählungen zum Vor- oder Selbstlesen, die verständlich machen sollen, was die Großeltern plagt. Aber sie sollen auch „Angst und Unsicherheit“ nehmen, sagt Franzisca Schubert. Gern auch den Eltern, bei denen die Seniorenberaterin erlebt, dass sie die Kinder vor ihren eigenen Berührungsängsten schützen wollen: „Die Kinder sollen nicht mitkriegen, wie schlecht es Oma oder Opa geht. Sie sollen sie in Erinnerung behalten, wie sie früher waren.“
Nur tut den Kindern das wahrscheinlich nicht gut. „Es ist wichtig, dass sie lernen: Das Altern gehört zum Leben dazu.“ Nicht nur die Autorin weiß ja: Das Risiko zu erkranken steige in einer Gesellschaft, die immer älter wird. „Die Kinder sollten lernen, damit umzugehen.“ Wer als Kind eine Alterserkrankung als normal erlebe, habe als Erwachsener weniger Probleme damit. Die Hefte, von der Stadt Dortmund und dem Landesprojekt Regionalbüros finanziert, sollen das Wissen auf spielerische Art vermitteln. „Guck dich um“, rät Bert Schulz vom Regionalbüro den kleinen Lesern: „Es sind ganz viele, denen es so geht.“
Viele, die noch mehr leiden, wenn die Enkel nicht mehr zu Besuch kommen. Es ist, sagt Franzisca Schubert, „auch für die Senioren Lebensqualität, wenn sie die Kinder sehen“. Deshalb sollten Erwachsene den Kleinen sagen: „Es ist leider so, Oma oder Opa sind nicht mehr so wie vorher.“ Aber dafür könnten sie vielleicht andere Sachen. Opa ist langsamer als früher? „Dann erzähl ihm was. Schau Fotos mit ihm an.“ Oder kuschel‘ einfach mit ihm – gerade Körperkontakt, Zuneigung, Wertschätzung seien wichtig für die Alten. „Du hast ihn immer noch lieb“, erinnert die Autorin. „Und er hat dich immer noch lieb.“
Denn welche Krankheit auch immer ihn ereilt hat, und wenn es diese Demenz ist, die man nicht sehen kann und nur so schwer erklären, weil etwas im Kopf kaputt ist: „Im Herzen spürt er, dass du noch da bist. Das Herz wird nicht dement.“
Quelle: Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 17.2.2024, Autorin: Annika Fischer
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